Wenn wir über Gewalt gegen Frauen sprechen, reden viele über Einzeltäter.
Über den „einen Mann“, der ausrastet.
Über den „einen Fall“, der schockiert.
Über den „einen Moment“, der eskaliert.
Aber Gewalt gegen Frauen passiert nicht,
weil ein Einzeltäter „durchdreht“.
Sie passiert, weil eine Gesellschaft sie ermöglicht.
Toleriert.
Verharmlost.
Unsichtbar macht.
Die Frage ist nicht:
„Warum tun Männer das?“
Die Frage ist:
„Warum können sie es so oft tun, ohne Konsequenzen zu fürchten?“
1. Der erste Systemfehler: Die Normalisierung
Wir sind so sehr daran gewöhnt, dass Frauen angegriffen, kontrolliert, bedroht, beleidigt oder verletzt werden,
dass wir es kaum noch wahrnehmen.
- “So reden Männer halt.”
- “So ist es in Beziehungen manchmal.”
- “Sie übertreibt sicher.”
- “Am Ende weiß man nie, was wirklich passiert ist.”
Das sind keine Sätze.
Das sind gesellschaftliche Brandschutzdecken für Täter.
Normalisierung ist die unsichtbare Infrastruktur, auf der Gewalt läuft.
Ohne sie wäre das System längst zusammengebrochen.
2. Der zweite Systemfehler: Das Wegschauen
Gewalt passiert selten im luftleeren Raum.
Sie passiert im Umfeld von Menschen, die sie:
- ahnen
- spüren
- sehen
- mitbekommen
- erahnen
- aber nicht handeln
Nachbarn hören Schreie.
Freunde sehen Kontrollverhalten.
Familien spüren die Angst.
Und trotzdem passiert wenig.
Weil Wegschauen bequemer ist als Verantwortung.
Weil „privat“ ein Schutzschild wurde.
Ein Schutzschild für Täter.
3. Der dritte Systemfehler: Das Versagen der Strukturen
Es ist kein Geheimnis:
Frauen suchen Hilfe - und bekommen sie oft zu spät oder gar nicht.
- Polizei, die bagatellisiert
- Ermittlungen, die versanden
- Gutachten, die Täter-nah geschrieben sind
- Richter, die „beide Seiten verstehen wollen“
- Justiz, die überlastet ist
- Systeme, die nicht miteinander sprechen
- Behörden, die Fristen verschleppen
Eine Frau muss oft beweisen, dass sie Angst hat.
Der Täter muss selten beweisen, dass er gefährlich ist.
Das ist kein Unfall.
Das ist ein Systemfehler.
4. Der vierte Systemfehler: Die Täterfreundliche Gesellschaft
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Täter:
- relativiert werden
- entschuldigt werden
- mit Empathie überschüttet werden
- Mitleid bekommen
- Verständnis erhalten
- als „gestresst“ oder „überfordert“ dargestellt werden
Während Frauen:
- hinterfragt werden
- analysiert werden
- verklärt werden
- abgewertet werden
- pathologisiert werden
- kritisiert werden
- belächelt werden
- zerschlissen werden
Der Täter bekommt den Benefit of the doubt.
Die Frau bekommt den Stempel.
5. Der fünfte Systemfehler: Täterbilder aus dem Märchenbuch
Wir haben uns jahrzehntelang eingeredet:
„Der Täter ist das Monster im Hinterhof.“
Nein.
Der Täter ist:
- der Kollege
- der Nachbar
- der Familienvater
- der Vereinsmann
- der beruflich erfolgreiche Typ
- der, der jeden grüßt
- der höfliche Mann, den alle mögen
Das macht Täter so gefährlich:
Sie sehen harmlos aus.
Das System schützt nicht die Frauen vor Männern.
Es schützt die maskierte Version des Täters vor Konsequenzen.
6. Der sechste Systemfehler: Die Schuldumkehr als gesellschaftliche Reflexreaktion
Die Schuldumkehr ist nicht nur ein Tätertrick.
Sie ist eine gesellschaftliche Routine.
- “Warum ist sie nicht früher gegangen?”
- “Warum hat sie nichts gesagt?”
- “Warum hat sie ihm vertraut?”
- “Warum hat sie die Warnzeichen ignoriert?”
Wir hinterfragen die Frau.
Wir analysieren die Frau.
Wir sezieren die Frau.
Aber wir fragen selten:
„Warum hat er Gewalt angewendet?“
Diese eine Frage würde Systeme sprengen.
Und jetzt, Darling… du bist dran.
Ja, jetzt meine ich wieder dich - Täter.
Du glaubst vielleicht, du bist clever genug,
um dich in diesem System zu verstecken.
Du glaubst, das Wegschauen schützt dich.
Dass Strukturen dich schützen.
Dass Gesellschaft dich schützt.
Dass Zweifel dich schützt.
Aber die Luft wird dünner.
Nicht, weil du dich änderst.
Sondern, weil Frauen anfangen, das System zu sehen.
Und wenn das System sichtbar wird,
wirst du es auch.
Ich bin Mimi Schnee.
Und ich mache hier Licht an.
Ohne Pause.
Ohne Ausnahme.
Gewöhn dich dran, Darling.
Gewalt ist kein individuelles Problem.
Sie ist ein gesellschaftlicher Fehler -
und wir hören auf, ihn höflich zu ignorieren.